Amerika x 100
In Sitzhöhe flackert eine Glühbirne im großen Schaufenster der Kunsthalle. Der wechselnde Rhythmus des Erleuchtens und Erlöschens ergibt sich aus der Transformation eines gesprochen aufgezeichneten und in hundertfacher Geschwindigkeit abgespielten Textes von Franz Kafka in Lichtsignale. In dem Text Kafkas – entnommen dem Romanfragment Amerika 1911-14 – geht es um eine Szene in einer unübersichtlichen Hotelanlage an einer Portierloge, in der das Sprechen und das Verstehen kaum mehr möglich scheint.
Unter diesen zehn Fragern, die immerfort wechseln, ist oft ein Durcheinander von Sprachen, als sei jeder einzelne von einem anderen Lande abgesandt. Immer fragen einige gleichzeitig, immer reden außerdem einzelne durcheinander. Die meisten wollen etwas aus der Portierloge holen oder etwas dort abgeben, so sieht man immer auch ungeduldig fuchtelnde Hände aus dem Gedränge ragen. Einmal hat einer ein Begehren wegen irgendeiner Zeitung, die sich unversehens von der Höhe entfaltet und für einen Augenblick alle Gesichter verhüllt. All diesem müssen nun die zwei Unterportiers standhalten. Bloßes Reden hätte für ihre Aufgabe nicht genügt, sie plappern, besonders der eine, ein düsterer Mann mit einem das ganze Gesicht umgebenden dunklen Bart, gibt die Auskunft ohne die geringste Unterbrechung. Er sieht weder auf die Tischplatte, wo er fortwährend Handreichungen auszuführen hat, noch auf das Gesicht dieses oder jenes Fragers, sondern ausschließlich starr vor sich, offenbar um seine Kräfte zu sparen und zu sammeln. Übrigens stört wohl sein Bart ein wenig die Verständlichkeit seiner Rede, und man kann in dem Weilchen, während dessen man bei ihm stehenbleibt, sehr wenig von dem Gesagten auffassen, wenn es auch möglicherweise trotz dem englischen Beiklang gerade fremde Sprachen sind, die er gebrauchen muß.
Aus: „Amerika” von Franz Kafka
Lichtinstallation mit Glühbirne, Gewebekabel, Fassung, Lanbox, Controller
Entwickelt im Rahmen von sololala, Sophiensaele Berlin, Internationales Solo-Festival von Steffi Weismann & Antoine Chessex, Lichtkonzept: Rut Waldeyer, Florian Bach, Bruno Pocheron