APP SCOUTS
Warum noch ein Audioguide in einer Ausstellung?
In dem Projekt App Scouts geht es um mehr als um einen Audioguide. Die Genese dieses Projekts hat eine lange Geschichte. Sie begann 2016 als die Designerin Cara Schlenzig an der weißensee kunsthochschule aufgrund ihrer Erfahrungen mit gesellschaftlichen Projekten in meiner Seminarreihe ihren Bachelor schrieb. Das von ihr gewählte Thema war eine App von und für Jugendliche in einem Museum. Als ich ab 2017 die Möglichkeit erhielt für die 10. Berlin Biennale ein Konzept für deren (Ver-)Mittlung zu entwickeln, lud ich Cara Schlenzig daher ein, ihr Konzept in diesem Kontext zu erproben. Mit der Carl-von-Linné Schule gewannen wir eine Partnerin, die das Projekt mit einem besonderen Schulprofil für Kinder und Jugendliche mit und ohne besondere Bedürfnisse noch um einen weiteren Aspekt erweiterte. Dies wurde durch die fachliche Beratung und Begleitung der Kulturagentin Maja-Lena Pastor ermöglicht.
Im Projekt App Scouts haben Jugendliche über die Hintergründe der Werke der 10. Berlin Biennale gesprochen und sich beispielsweise mit ihrem eigenen Geschichtsunterricht befasst. Dabei stellten sie fest, dass sie die Haitianische Revolution nicht durchgenommen haben. 1791 leitete die Haitianische Revolution – der Aufstand versklavter Menschen in dem von Frankreich kolonisierten Gebiet Santo-Domingo – die Gründung des Staats Haiti im Jahr 1803 ein. Es war der erste unabhängige Staat in Lateinamerika und der erste, der von ehemals versklavten Menschen geformt und regiert wurde.
Ihre Kommentare zu dem Werk 19° 36’ 16.89“ N, 72° 13’ 6.95“ W) / (52.4042° N, 13.0385° E (2018) von Firelei Báez waren durch die App in der Ausstellung zu hören und konnten von anderen Besucher*innen kommentiert werden. Sie gaben uns Aufschluss über Wissen und Nicht-Wissen. Sie verwiesen auf die Realität des Schulunterrichts. Hier wurde nur eine bestimmte Auswahl von historischen Zusammenhängen besprochen. Manche Stränge wurden überhaupt nicht vermittelt, und dazu gehört die Haitianische Revolution – und auch der transatlantische Sklavenhandel. Ergänzungen von weiteren Besucher*innen zu dieser Arbeit schufen genau dieses erweiterte Hintergrundwissen. So ermöglichte es also dieses Projekt zum einen von der strukturellen „Blindheit“ im deutschen Bildungssystem zu erfahren – und zum anderen von eben dieser „Blindheit“ als Thema im Ausstellungskontext, auch „Silencing“ genannt (deutsch: „zum Schweigen gebracht“).
Wie geht es weiter?
„Wenn wir die Welt umdrehen würden, also wir wären am Himmel, der wäre so sauber“, kommentiert eine junge Stimme die Arbeit von Agnieszka Brzeżańska. Bei der 10. Berlin Biennale zeigte sie zehn Collagen aus einer Serie mit dem Titel Kobayashi Maru von 2014. Die Collagen bestehen aus Hintergrundelementen, die nur an ihren äußeren Rändern sichtbar werden. Massentierhaltung, Krieg oder Umweltkatastrophen lassen sich nach längerem Hinschauen ausmachen. Darüber liegen dekorative geometrische Formen aus buntem oder goldfarbenem Material. Bei den Gruppentouren, die ich begleitet habe, erlebte ich, dass diese Collagen vielen der Besucher*innen erst einmal Rätsel aufgaben – insbesondere auch in Bezug auf ihren Titel. Die Wahrnehmungen der Jugendlichen bildeten hingegen einen reichhaltigen Ansatz zu ihrem Verständnis. Ihnen war der Titel Kobayashi Maru aus der Serie Star Trek bekannt. Sie beschrieben die verschiedenen Bildebenen der Collagen. Daran schlossen die Jugendlichen eine Bilanz an, die ihren realistischen Blick auf Umweltverschmutzung und Machtpolitik widerspiegelte. Und doch verblieben ihre Beschreibungen nicht bei diesen bedrohlichen Szenarien, sondern überraschten mit damit verknüpften neuen Sichtweisen, die utopische und auch irrationale Elemente enthielten. Damit wurde einer Bandbreite an Widersprüchlichkeit und Brüchen Raum gegeben, wie sie mit ästhetischer Erfahrung einhergehen kann.
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Projekte der zeitgenössischen Kunst sich öffnen und mehr Ressourcen zur Verfügung stellen, um Prozessen wie diesen Raum zu schaffen. Veränderungspotential kann sich nur entfalten, wenn es auch über das Betriebssystem Kunst hinaus aktiviert werden kann.
APP SCOUTS
Schüler*innen des 6., 9. und 10. Jahrgangs der Carl-von-
Linné-Schule und Schüler*innen des Johann-Gottfried-Herder-Gymnasiums
Moderiert von
Alexia Manzano, Künstlerin Cara Celine Schlenzig, Künstlerin
Carola Seiboth, Lehrerin Carolin Pflüger, (Ver-)Mittlerin
Gunnar Matz, Informatiker Holger Friese, Informatiker und Künstler
Laureline van den Heuvel, (Ver-)Mittlerin
Maja-Lena Pastor, Kulturagentin
Mona Jas, Projektleiterin
Victoria Tomaschko, Fotografin
DANK
Carolin Knüpper
Gabriele Horn
Jeanette Gogoll
Kati Guhle
Khadidiatou Rachel Bangoura
Konrad Muchow
Natasha A. Kelly
Rebeka Jazbec
Tobias Oettel
Tullia Tarsia in Curia
Udo Klink
Yvette Mutumba
Das Projekt App Scouts – gefördert von der Aktion Mensch – konnte im Rahmen des (Ver-)Mittlungsprogramms der 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst (9.6.–9.9.2018), kuratiert von Gabi Ngcobo mit Nomaduma Rosa Masilela, Serubiri Moses, Yvette Mutumba, Thiago de Paula Souza, umgesetzt werden.